Immer wieder, manchmal auch hinter vorgehaltener Hand, gerät auch im Naturkosthandel das Thema „Mitarbeiterlöhne“ und "Mitbestimmung" in den Fokus. Für eine Branche, die neben der ökologischen Qualität der Lebensmittel eigentlich auch für „faire Arbeitsbedingungen“ stehen möchte, eine schwierige und für viele wohl auch unangenehme Frage - ist es doch ein offenes Geheimnis, dass man mit der Arbeit in einem Bioladen in den meisten Fällen nicht wirklich viel Geld verdient. Im Folgenden der Versuch einer persönlichen Einordnung aus betriebswirtschaftlicher Sicht.
Löhne und Gewinne: Eine Realität, der man sich stellen muss
Durch unsere jährlichen Branchenbetriebsvergleiche und unser monatliches Controlling für Bioläden bekommt man als Berater schnell ein Gefühl für die in den einzelnen Unternehmen gezahlten Löhne und Gewinne. Eigentliche hat man sich mit den Jahren einfach daran gewöhnt, aber im Prinzip ist die Faktenlage recht ernüchternd: Nur in wenigen Naturkostläden wird Mitarbeitern im Schnitt mehr als 11 oder 12 Euro bezahlt, oft ist es nur knapp am Mindestlohn. In kleinen Betrieben ist dabei der Inhaber sogar die Arbeitskraft, die (bezogen auf seinen Arbeitseinsatz) am schlechtesten bezahlt wird. Soweit so gut, wie gesagt: Man gewöhnt sich daran. Aber besonders dann, wenn ich Kunden bei der Gründung und Eröffnung eines Bioladens unterstütze, wird das Thema für mich immer wieder außerordentlich präsent: Bei der Erstellung eines Businessplans werden Lohnkosten und geplante Entnahmen mit den Gründern ausführlich besprochen. In der Regel kommen dabei für den angehenden Unternehmer sehr schlechte Nachrichten auf den Tisch: Der Wunsch, seine Mitarbeiter wirklich gut zu bezahlen und selbst schnell zu einem bescheidenen Wohlstand mit Jahresurlaub und vernünftiger Altersvorsorge zu kommen, platzt in der Begegnung mit der wirtschaftlichen Realität!
Eine kurze Analyse der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen

Das Kernproblem beginnt mit den aus meiner Sicht viel zu geringen Lebensmittelpreisen. Wir Deutsche haben uns durch Schnäppchenmentalität und die jahrzehntelangen Verführungen durch Angebote des Einzelhandels an ein gewisses Preisniveau gewöhnt. Aufgrund der hohen Konkurrenz im Discountsektor gibt es extrem niedrige Referenzpreise, und die Unternehmen sind im Prinzip zu einem „Unterbietungswettkampf“ gezwungen, um für Kunden attraktiv und eben „günstig“ zu bleiben. Hohe Erträge sind in einem solchen Marktumfeld kaum möglich. Erfolgreiches Wirtschaften funktioniert hier nur durch möglichst effizientes Arbeiten, das nachhaltige Drücken von Kosten an allen Stellen und dadurch (mittelfristig) leider oft auch durch Kompromisse und Einschnitte in der Qualität.
Der Naturkosteinzelhandel will (und kann) an vielen Stellen effizienter und damit kostengünstiger werden, bei der Qualität soll (und darf) es aber keine Einschnitte geben! Die Gewinnmargen sind folglich vor allem im inhabergeführten Naturkosthandel niedrig. Da diese Unternehmen in der Regel nur aus einer Verkaufsstelle bestehen, haben sie auch keine Möglichkeit, die Gewinne über große Masse zu erzielen. Dem Umsatzvolumen sind über die Fläche und die begrenzte direkte Nachfrage vor Ort natürliche Grenzen gesetzt.

Das Ergebnis lässt sich einfach zeigen: Ausgehend von den Werten aus unserem Betriebsvergleich ergibt sich für einen Bioladen mit beispielsweise 1 Millionen Euro Umsatz ein durchschnittlicher Gewinn von knapp 50 Tausend Euro. Bei höheren Lohnkosten würden viele inhabergeführten Läden also schlichtweg keinen Gewinn mehr erwirtschaften, so dass der Unternehmer selbst ein (noch) geringeres Einkommen hat. Berücksichtigt man dessen Arbeitseinsatz und das unternehmerische Risiko wird klar, dass bei den Gehältern relativ wenig Spielraum besteht. Auch die anderen beiden großen Kostenpunkte (Wareneinsatz und Miete) lassen sich als kleines Unternehmen kaum beeinflussen. Löhne werden also durch Rahmenbedingungen gesetzt, der Inhaber muss schauen, dass er für dieses Geld gute Mitarbeiter findet.
Übrigens, auch die großen Biofilialisten sind letztendlich Teil eines dynamischen Marktes im kapitalistischen System und damit einem gewissen Wachstumszwang unterworfen. Sicher haben auch diese den Wunsch, ihre Mitarbeiter möglichst gut zu bezahlen. Aber die Konkurrenz kommt eben aus einem anderen Lager: Das Biowachstum findet in den letzten Jahren zunehmend auch im LEH und Discount statt, das Wachstum im Fachhandel hat sich nach einer kleinen Delle in den vergangenen Jahren nun zumindest wieder stabilisiert. Das im LEH erzielte Umsatzwachstum führt eben aber eher nicht zu steigenden Preisen – im Gegenteil: Durch die weitere Verbreitung am Markt und eine verschärfte Konkurrenz besteht zunehmend die Gefahr, dass die Preise für Bioprodukte mittelfristig sogar sinken.

Das ist dann auch das pragmatische Ergebnis der Diskussion bei den Businessplänen: Wir schauen gemeinsam, was angesichts der erwartbaren Umsätze und einer dazu passenden Mitarbeiterstruktur bei Löhnen von 10-11 Euro übrig bleibt und kommen so zum Gehalt des Unternehmers. Erst wenn das mehr ist, als dieser wirklichezum Leben braucht, können wir über Gehaltserhöhungen für Mitarbeiter und/oder den Inhaber sprechen...
Mein persönliches Fazit:
Ja, die Löhne im Naturkosthandel sind zu niedrig. Aber der wirtschaftliche Kontext lässt nach nüchterner Analyse derzeit leider keine Alternative. Wir können also nur an die Verbraucher appellieren und dafür werben, für unsere guten Produkte auch einen guten Preis zu zahlen. Und wir können versuchen, der Geschichte etwas Positives abzugewinnen: Die niedrigen Löhne und Gewinner stellen sicher, dass in unserer kleinen Branche überwiegend Menschen arbeiten, für die auch andere Aspekte wichtig sind. Ob das ein guter Trost ist, weiß ich nicht. Aber wenn wir versuchen, uns im ersten Schritt auf diese Aspekte zu konzentrieren und darin gut zu sein, dann können wir auch mit weniger schlechtem Gefühl offen über Geld und Gehälter sprechen.

Wir unterstützen und beraten den Naturkostfachhandel bei allen strategischen Fragen und wirtschaftlichen Entscheidungen. Um die eigenen Kennzahlen und Kostenstrukturen sinnvoll einordnen zu können bietet sich die Teilnahmee an unserem Betriebsvergleich oder die Zusammenarbeit in Form eines regelmäßigen Controllings an. Bei Fragen können Sie sich natürlich jederzeit an mich oder einen Kollegen im Team wenden.
Simon Döring