
Lange Zeit ging es dem Fachhandel eigentlich richtig gut. Die Branche boomte, die Wachstums-zahlen waren teilweise zweistellig und das Geschäftsmodell eines "Bioladens" war auch für Quereinsteiger beinahe ein Selbstläufer - zumindest wenn man ein paar grundlegende Weichen unternehmerisch richtig gesetzt hatte.
Fehlende Professionalität wurden von den Kunden aufgrund der übergeordneten Wünsche nach der Produktqualität in Kauf genommen. "Bio ist halt anders", und das wurde von Konsumenten teilweise sogar als besondere Qualität wahrgenommen. Auch kleinere betriebswirtschaftliche Defizite konnten durch den zunehmenden Trend zur bewussten und gesunden Ernährung (und die dadurch generierten Mehrumsätze) kompensiert werden. So konnten wir in unseren Auswertungen für die meisten Betriebe überwiegend tolle Zuwachsraten und regelmäßige Verbesserungen in der Ertragslage beobachten. Doch der Wind hat sich gedreht: Die Leichtigkeit der früheren Jahre ist an vielen Standorten verflogen, und auch wenn sich die meisten Bioladner schrittweise immer mehr professionalisiert haben und persönlich (wie unternehmerisch) an den Herausforderungen gewachsen sind, sorgt der zunehmende Wettbewerbsdruck in vielen Betrieben jetzt schon zu massiven wirtschaftlichen Problemen. Es braucht für viele Fragen neue Antworten! Und der Fachhandel wird diese Antworten finden müssen, wenn er seine Existenzberechtigung am Markt nicht verlieren möchte. Es wäre nicht der erste "stationäre Fachhandel" der im Zuge der Digitalisierung und Marktentwicklung von der Bildfläche verschwindet. Chancen und ungenutzte Potentiale gibt es sicherlich genug - aber sie müssen auch aktiv genutzt werden!
Nachdem ich im letzten Beitrag die Möglichkeiten einer neuen strategischen Ausrichtung von Bioläden beschreiben haben habe, möchte ich mich jetzt ganz pragmatisch an die betriebswirtschaftliche Herausforderung wagen. Aktuell sehe ich vor allem drei Ansatzpunkte, in denen ein Umdenken im täglichen Handeln hilfreich sein kann:
Ansatz 1: Bewusstsein für Kosten stärken

Um die wirtschaftliche Situation eines Handels-Unternehmens zu verbessern, sind aus betriebswirtschaftlicher Sicht stark vereinfacht zwei Ansätze möglich: Entweder werden die Einnahmen (Erlöse und Erträge) gesteigert oder die Kosten reduziert! In der Vergangenheit sind die Umsätze im Fachhandel zuverlässig gewachsen, gleichzeitig sind aber auch die Gesamtkosten umsatzanteilig von 24,6 Prozent (2006) auf 27,9 Prozent (2016) gestiegen.
Dies konnte durch die stetige Verbesserung der realisierten Handelsspanne aufgefangen werden. In Anbetracht der aktuellen Marktsituation ist dieser Gleichlauf aber zu überprüfen:

Natürlich gab es in der Vergangenheit gute Gründe (wie angemessene Lohnerhöhungen), weshalb die Kostenquote gestiegen ist. In vielen Bioläden war es aber aufgrund des betrieblichen Wachstums nur selten notwendig, die individuell organisch gewachsenen Kostenstrukturen grundsätzlich zu hinterfragen. Das sollte jetzt zwingend stattfinden: Vergleicht man beispielsweise die Ausgaben für Buchhaltung und Steuerberatung, im Bereich Warenabgabe und den oft unübersichtlichen Gesamtblock "sonstige Kosten", lassen sich doch erhebliche Unterschiede feststellen. Naturgemäß ist es hier nicht möglich, pauschale Empfehlungen zu geben - zu individuell sind die jeweiligen Situationen! Dennoch: Bevor ich mich passiv über sinkende Einnahmen beschwere, ist es dringlich zu empfehlen, die eigenen Ausgaben hinsichtlich ihrer Notwendigkeit und potentiellen Einsparungen kritisch unter die Lupe zu nehmen.
"Jeder einzelne Kostenpunkt sollte regelmäßig hinsichtlich der Häufigkeit,
des Umfangs und hinsichtlich der zwingenden Notwendigkeit überprüft werden."
Ein ansehnliches Beispiel hierfür ist die Zusammenarbeit mit dem Steuerberater: Welche Leistungen bietet mir mein Dienstleister? Wie schnell bekomme ich meine monatlichen BWAs? Welche Vorbereitungen muss (oder kann) ich intern erbringen, um den Aufwand für das Steuerbüro zu reduzieren? Ist eine regelmäßige (monatliche oder jährliche) gemeinsame Analyse der Zahlen inklusive? Was verlangen andere Anbieter für die gleiche Leistung? Eine Argumentation wie "meinen Steuerberater habe ich seit 10 Jahren und bin zufrieden" ist gut, aber unter Umständen kann eine Neuverhandlung der Vereinbarung (oder bei Scheitern ein Wechsel) zu spürbaren Einsparungen führen. Einen guten Einstiegspunkt für dieses Vorgehen kann der ContRate-Betriebsvergleich oder auch die Teilnahme an einer Erfagruppe bieten, wo die eigenen Zahlen im Verhältnis zu Kostenstrukturen ähnlicher Betriebe betrachtet werden.
Ansatz 2: Führen und Fördern- aber auch fordern
Personalausgaben machen neben dem Wareneinsatz den größten Kostenpunkt im Naturkosteinzelhandel aus. Um einen angemessenen Service (und Beratung) sicherzustellen, benötigt man eine ausreichende Zahl an qualifizierten Mitarbeitern, aber auch die richtige Kombination aus Festangestellten und Aushilfen. Und je mehr Umsatz ich mache, desto mehr Arbeitsauwand ist auch dafür notwendig, die eigene Qualität sicherzustellen. Unsere Analysen zeigen dabei, dass großflächige Supermärkte tendenziell effektiver arbeiten können als kleine Bioläden. Dieser Effekt ist durchaus naheliegend, da viele Arbeiten (wie zum Beispiel die tägliche Bestellung) nicht länger brauchen, nur weil man "mehr Waren" bestellt. Allerdings sind die Unterschiede bei den Einzelbetrieben teilweise erheblich, was zum Nachdenken anregt.

So gibt es gerade in den Betriebsgrößen zwischen 200 und 600 Quadratmetern eine aufällige Streuung bei der Personalleistung - immerhin um den Faktor zwei, nämlich zwischen 100 und 200 Tausend Euro! Wenn sie die einzelnen Händler (und Mitarbeiter) dazu befragen, wird ihnen (fast) jeder antworten: "Mit weniger Personal könnten wir das hier nicht stemmen!" Diese subjektive Einschätzung muss man erstmal akzeptieren: Je nach Organisation, Ladenaufbau und Serviceorientierung gibt es tatsächlich ausreichend begründbare Unterschiede für größere Abweichungen. Wenn man aber bedenkt, dass im Lebensmitteleinzelhandel auch Werte von durchschnittlich 250 Tausend Euro erreicht werden können, sollte diese Argumentation zumindest regelmäßig hinterfragt werden. In manchen Betrieben hat sich bei den Mitarbeitern (und Inhabern!) mit der Zeit auch eine Art "Wohlfühlzone" gebildet, die zu verlassen erstmal als "unzumutbarer Stress" wahrgenommen wird. Gerade in wirtschaftlichen schwierigen Zeiten gilt es aber, den eigenen Führungsstil zu hinterfragen und auch von den Mitarbeitern ein Umdenken einzufordern .
"Sämtliche Prozesse sollten ständig hinsichtlich ihrer Effektivität überprüft werden: Manche Arbeitsschritte sind bei genauem Betrachten überflüssig oder können von einem anderen Mitarbeiter besser und schneller erledigt werden.
Auch gibt es in einem Bioladen immer etwas zu tun. Dass Mitarbeiter in der Arbeitszeit augescheinlich 'nichts' tun, kann sich auf Dauer kein Unternehmen leisten!"
Ein einfaches Beispiel ist die Kassenbesetzung: Wie schnell kassiert ein Mitarbeiter tatsächlich, wann bilden sich Schlangen an der Kasse? Kennt der Mitarbeiter die PLU-Nummern auswendig, oder muss er regelmäßig nachschauen? Was macht er, wenn gerade kein Kunde bezahlen möchte? In manchen Discountern wurden Kassiererinnen früher nach "Anzahl der gescannten Artikel pro Minute" bewertet. Das mag übertrieben klingen und zu ungewünschten Nebeneffekten führen, wenn der Kassierer beispielsweise schneller ist als der Kunde, der die Artikel wieder in seinen Wagen räumt. Allerdings kennen wir wohl alle die Situation beim Einkaufen, wenn man in einer länger werdenden Schlange steht und der Mensch an der Kasse immer noch mit Seelenruhe nach der PLU-Nummer von Auberginen sucht oder das Wechselgeld in Zeitlupe aus der Kasse holt. Hier darf Geschwindkeit schon eine Rolle spielen! Am Ende geht es wie immer um einen adäquaten Mittelweg.
Ansatz 3: Werbung als Investition verstehen
Die Teilnehmer am ContRate-Betriebsvergleich gaben 2016 durchschnittlich 1,1 Prozent des Umsatzes für Marketing aus. Bei neu gegründeten Läden ist dieser Wert oft noch etwas höher, bei manchen Betrieben liegt er aber auch im marginalen Bereich. Werbung unterliegt in der BioBranche oft noch immer grundlegenden Fehleinschätzungen: "Die Leute wissen doch, dass es mich gibt und was ich mache. Ich möchte nicht mit Werbung nerven, die Menschen mit Versprechen manipulieren und dabei auch noch unnötig Geld ausgeben!"

So oder so ähnlich hört es sich an, wenn man mit Händlern über eine mögliche Erhöhung der Werbeaus-gaben spricht - wobei wir schon genau beim Thema sind: In den wenigsten Unternehmen gibt es so etwas wie fest definierte "Marketingbudgets".
Man macht im Jahresverlauf eben das, was sich ergibt - hier mal einen Flyer mit Angeboten, dort mal eine Anzeige in der regionalen Zeitung und nebenbei noch ein bisschen Facebook und das wars. Hier ist zwingend mehr Professionalität und konzeptionelle Arbeit gefordert: Die Bio-Branche hat so viele tollte Produkte, tatsächliche Werte und Geschichten und die es zu präsentieren lohnt - dies nur sehr zurückhaltend zu tun ist vielleicht eine der entscheidenden Ursachen für die aktuelle Krise: Denn der LEH kennt diese Zurückhaltung nicht und setzt das eigene Engagement mit großen Werbebudgets in Szene. Auch der Fachhandel sich endlich trauen und lauter werden. Das darf dann auch etwas kosten.
"Ein fest definiertes Marketingbudget sollte auf Basis eines klaren Konzeptes
unabhängig von der Umsatzentwicklung gezielt investiert werden. Dabei sollten unterschiedliche Kanäle bespielt und auch kreative Wege gegangen werden."
Es kann hierbei durchaus sinnvoll sein, gemeinsam mit einem Dienstleister einen Jahresplan zu erstellen, in welchem die verschiedenen Aktionen konzipiert und auch unterschiedliche Themen- und Sortimentsbereiche behandelt werden. Auch sollten unterschiedliche Kanäle bespielt werden, gerade im Online-Bereich gibt es viel ungenutztes Potential. Aber auch kurzfristig gilt es wach zu sein und aktuelle Trends und in der Öffentlichkeit diskutierte Themen aufzugreifen und beispielsweise über Veranstaltungen oder Facebook-Anzeigen mit den eigenen Stärken zu verbinden. Werbung kann dabei (oft in Verbindung mit Angeboten) kurzfristig für zusätzliche Umsätze und Neukunden sorgen, sollte aber vor allem als mittel- und langfristige Investition verstanden werden: Das eigene Profil muss für den Verbraucher klar erkennbar sein und die Kommunikation nach außen sollte auffällig und kreativ genug sein, um auch immer wieder zum "Gesprächsthema" bei den eigenen Stammkunden zu werden.
In jeder Krise steckt eine Chance - wichtig ist, sich wirklich als "Unternehmer" zu verstehen, auch eingefahrene Wege immer wieder zu hinterfragen und bei Bedarf zu verlassen. Die hier skizzierten Ansätze zeigen auf, dass es auch bei stagnierenden Umsätzen durchaus Möglichkeiten gibt aktiv zu werden und das Schicksal in die eigene Hand zu nemen. Hierzu möchte ich alle Leser aufrichtig ermutigen! In einem Vortrag habe ich vor kurzem eine Formulierung aufgeschnappt, welche die Lage aus meiner Sicht treffend beschreibt:
"Der vermeintliche Vorsprung, den der Naturkostfachhandel gegenüber anderen Vertriesbkanälen vielleicht in der Vergangenheit hatte ist heute nicht mehr existent. Gerade in dieser Phase müssen die Unternehmer eben wieder das kleine 'etwas mehr' an Arbeit und Kreativität investieren, damit er sich vom Lebensmitteleinzelhandel abheben und wirtschaftlich rentabel bleiben kann."

Es geht im Naturkostfachhandel nach unserer Ansicht verstärkt darum, das eigene Tun schrittweise weiter zu professionalisieren, ohne die eigenen Werte und traditionellen Stärken zu vernachlässigen. Für Inhaber bedeutet das auch, sich persönlich und unter-nehmerisch jeden Tag einen Schritt weiterzuentwickeln. Gerne stehen wir ihnen bei dieser Herausforderung beratend zu Seite und unterstützen sie durch Workshops und / oder persönliche Coachings. Sprechen sie uns an!
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