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Herkulesaufgaben für den Fachhandel


Auf den BioMessen im Herbst war eine Frage in allen Gesprächen und Diskussionen allgegenwärtig: Wie steht es um die Zukunft inhabergeführter Bioläden? Angesichts sinkender Umsätze und einem überaus dynamischen Marktumfeld stellen sich auch grundsätzliche Fragen - wir ordnen die aus unserer Sicht drängendsten Herausforderungen im Naturkosthandel und geben Hinweise, welche Prioritäten Unternehmer jetzt setzen sollten...


 

1. Herausforderung: Sinkende Umsätze - die Grundlage bröckelt...

In unserem Umsatzbarometer zeigen sich nun seit über einem Jahr sinkende Umsätze, alleine im zweiten Quartal 2022 gingen die Erlöse flächenbereinigt im Vergleich zum Vorjahr um 15,3 Prozent zurück. Konnte man die Einbußen in 2021 zunächst noch als eine normale "Korrektur" gegenüber dem außergewöhnlich guten "Coronajahr" (Zuwachs von 16,4 Prozent in 2020) einordnen, erscheint vor allem der inzwischen anhaltende Trend besorgniserregend: Das Umsatzwachstum ist nun das fünfte Quartal in Folge negativ, und die Zahlen werden in diesem Zeitraum eher schlechter! Eine Ausnahme bildet allerdings der aktuelle Juni, hier gingen die Erlöse im Vergleich zum Vorjahr "nur" um 7,5 Prozent zurück. Aufgrund dieser neuesten Auswertung aber bereits von einer "Erholung" oder gar einer "Trendwende" zu sprechen erscheint uns angesichts der mittelfristigen Entwicklung noch deutlich verfrüht.


Tatsächlich liegt das Umsatzniveau aktuell in etwa auf der Höhe aus dem Jahr 2019, dem letzten "normalen" Jahr im Fachhandel, bevor Hamsterkäufe und Corona-Maßnahmen den Markt durcheinandergebracht haben. Die grundsätzliche Frage ist, mit welchem Umsatzniveau Bioläden mittelfristig planen können: Kommt in absehbarer Zeit wieder eine Erholung oder stehen wir erst am Beginn einer nachhaltigen Absatzkrise? Spekulieren kann man in beide Richtungen trefflich, aber da man die gesamtwirtschaftliche Entwicklung als Einzelunternehmen ohnehin kaum beeinflussen kann, schauen wir im Folgenden auf die Argumente und Ansätze, die ein optimistisches Bild unterstützen und den Unternehmen jeweils individuell umsetzbare Handlungsoptionen aufzeigen:


Ansatz: Die eigene Nische finden und aktiv neue Kunden ansprechen

Angesichts der gesellschaftlichen Mega-Trends zu mehr Bewusstsein bezüglich nachhaltigem Konsum, sowie dem Umwelt- und Klimaschutz ist davon auszugehen, dass die vermeintliche "Rettung der Erde" für viele Menschen auch zukünftig ein wichtiges Kriterium beim eigenen Einkauf sein wird und der Wunsch nach "gesundem Genuss ohne schlechtem Gewissen" bei vielen tendenziell eher zunehmen wird. Auch ist es recht wahrscheinlich, dass es auch in einem spätkapitalisitischen Marktsystem immer zumindest eine kleine Gesellschaftsschicht geben wird, die genügend Einkommen und/oder Vermögen hat um sich die Befriedigung dieses Bedürfnisses auch in wirtschaftlichen Krisen zu leisten. Da der Bio-Fachhandel in seiner Ausrichtung und in seinen Strukturen ohnehin nicht darauf ausgelegt ist, die "Masse der Menschen" zu versorgen, sondern mit höchsten Ansprüchen bei der Qualität der Produkte und in der Beratung eher nur eine kleine, qualitätsorientierte Zielgruppe mit entsprechender Kaufkraft anspricht, verändert sich in diesem Szenario eigentlich nur sehr wenig: Es gilt, das eigenen Leistungsangebot explizit auf die Wünsche eben dieser Gesellschaftsschicht auszurichten! "Bio für alle" können, dürfen und müssen daher andere machen - der Naturkostfachhandel sollte das eigene Profil als "Marktführer in Sachen Qualität und Service" authentisch weiterentwickeln und die eigenen Stärken (noch) lauter als in der Vergangenheit nach Außen kommunizieren. Das Geschäftsmodell wird auf absehbare Zeit eine Nische bedienen, die per Definition nicht unendlich wachsen kann. Sich innerhalb der Nische zu behaupten und dabei auch immer wieder bioaffine Neukunden aus anderen Vertriebskanälen (wie LEH und Lieferdiensten) anzusprechen ist Kernaufgabe und die zu empfehlende strategische Stoßrichtung, damit der inhabergeführte Naturkosthandel seine Existenzberechtigung am Markt behält!



2. Herausforderung: Spanne unter Druck - die Erträge fehlen...

Die am ContRate-Betriebsvergleich teilnehmenden Betriebe beweisen seit vielen Jahren, dass es für gut aufgestellte inhabergeführte Bioläden möglich ist, eine stabile Ertragsquote zwischen 34 und 35 Prozent zu erwirtschaften und damit profitabel zu arbeiten. Kleinere Schwankungen liegen in der Natur der Sache, insgesamt gelang es bisher aber durchaus, die für den eigenen Betrieb notwendigen Preise trotz zunehmender Konkurrenz am Markt auch durchzusetzen. Doch der Druck nimmt zu: Das immer breiter werdende Angebot von Bio-Produkten im LEH wird dort zunehmend mit aggressivem Preis-Marketing in Szene gesetzt, was indirekt auch das Preisniveau im Fachhandel angreift - denn wie lässt sich über den reinen Produktinhalt vermitteln, warum Lebensmittel in Verbandsqualität im Bioladen durchweg deutlich teurer sind als beispielsweise bei Lidl oder Aldi? Dazu kommt, dass Verbraucher aufgrund der derzeit in vielen Bereichen steigenden Preise auch im Fachhandel gerne ein bisschen sparen und im Sinne eines "Downgradings" nach günstigen Alternativen suchen: Die eher hochpreisigen Hersteller-Marken in den Premium-Bereichen haben derzeit die stärksten Umsatzrückgänge, die Verbraucher kaufen vermehrt Handelsmarken-Produkte im Preiseinstiegs-Bereich, die in der Regel durchweg schlechter kalkuliert werden. Diese Punkte gemeinsam führen zu der Frage, wie Naturkosthändler auch in Zukunft die strukturell notwendigen Erträge von deutlich über 30 Prozent des Umsatzes sichern können?


Ansatz: Selbstbewusst und konsequent die "fairen Preise" durchsetzen

Im Fachhandel werden "wertvolle Lebensmittel" verkauft, und dieser Wert muss sich auch weiterhin in den Preisen widerspiegeln: Die Struktur der Wertschöpfung macht es auf absehbare Zeit unmöglich, einen Preiskampf mit anderen Vertriebskanälen erfolgreich zu führen. Daher sind inhabergeführte Bioläden dazu gezwungen, steigende Herstellerpreise auch konsequent an die Endverbraucher weiter zu geben - der Einzelhandel lebt am Ende nicht vom Umsatz, sondern von Erträgen: Diese Erträge (zumindest umsatzanteilig) zu sichern sollte daher oberste Priorität haben! Und um die dafür notwendigen Preise auch zu vermitteln gilt es, die eigenen Motive (wie Weiterentwicklung des ökologischen Landbaus, authentisch gelebtes Streben nach Nachhaltigkeit, gute Lebensmittel statt Massenware) glaubwürdig zu kommunizieren und in das Zentrum aller betrieblichen Entscheidungen zu setzen. Die Ein- und Auslistung von Produkten, die Warenpräsentation und das Marketing sollten auf die bestmögliche Exklusivität des eigenen Sortiments ausgerichtet sein! Sonderangebote und Preisaktionen können in diesem Kontext immer nur ein isoliertes und begrenztes Werkzeug sein um gerade gegenüber potentiellen Neukunden zu signalisieren, dass man im Fachhandel auch preisbewusst einkaufen kann. Im Vergleich zur Konkurrenz kann und darf die überwiegende Zahl der Produkte in qualitätsorientierten Naturkostgeschäften auch in Zukunft nicht "wirklich billig" werden - diese Ehrlichkeit und Klarheit muss bei Inhabern, Mitarbeitern und Kunden gepflegt und weiterentwickelt werden.

3. Herausforderung: Steigende Kosten - die Inflation schlägt zu...

Steigende Energiepreise und eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns werden dafür sorgen, dass die Kosten in den Unternehmen im Jahr 2022 an vielen Stellen spürbar steigen! Um eine Prognose für die mittelfristige Preisentwicklung abzuleiten ist es hilfreich zu erkennen, dass die Inflationsrate schon seit gut 1,5 Jahren stetig anzieht - es handelt sich also vermutlich nicht nur um eine kurzfristige "Störung des Marktes" durch unvorhersehbare externe Effekte (wie den Ukrainekrieg), sondern auch um eine systembedingte Folge von europäischer Geldpolitik und Wirtschaftsentwicklung. Als Einzelunternehmen kann man sich dieser Problematik nicht entziehen und sollte sich daher bestmöglich auf weiter steigende Ausgaben einstellen.

Ansatz: Die Entwertung des Geldes annehmen und Effizienz steigern

In Zeiten von hohen Inflationsraten haben verkaufende Unternehmen gegenüber dem ausschließlich nachfragenden Verbraucher den Vorteil, dass sie steigende Ausgaben auch relativ direkt auf der Einnahmenseite durch erhöhte Preise ausgleichen können. Rein ökonomisch betrachtet ändert die Inflation im ersten Schritt kaum etwas an Umfang und Struktur der eigenen Wertschöpfung, lediglich deren Bewertung in "Geldeinheiten" verändert sich! Anders verhält es sich, wenn sich auch die relativen Verhältnisse innerhalb der eigenen Ausgaben aufgrund externer Faktoren verändern. Müssen beispielsweise die Löhne innerhalb kürzester Zeit um 20 Prozent erhöht werden (z.B. aufgrund des Mindestlohn für Aushilfen von 10 Euro auf 12 Euro) oder steigen einzelne Nebenkosten ohne jeglichen Bezug zum Umsatz (z.B. durch sich vervielfachende Energiepreise) gerät die Liquidität gerade in kleinen Betrieben relativ schnell in Schieflage. Die einzige Möglichkeit dieser Herausforderung aktiv zu begegnen ist dann das konsequente Überprüfen sämtlicher Abläufe und Ausgaben: Wo lassen sich ggf. Arbeitsprozesse anders und effektiver gestalten? Wo kann die monatliche Belastung durch entsprechende Investitionen (z.B. in energiesparenden Beleuchtung- und Kühlsysteme) reduziert werden? Welche anderen Ausgaben lassen sich ggf. kurzfristig kürzen, ohne die eigene Leistungsfähigkeit direkt negativ zu beeinflussen? In grundsätzlichen Fragen wie diesen steckt für den Naturkosthandel vielleicht auch die Chance, die eigene Professionalisierung weiter voran zu treiben und sich auch auf strategischer Ebene für die Zukunft neu zu sortieren.


 

Fazit: Schwierige Zeiten - und ein möglicher Ausweg...

In den aktuell äußerst turbulenten Zieten, wo die Ergebnisse der Bioläden von allen Seiten unter Druck stehen (sinkende Umsätze, Druck auf die Spanne und steigende Kosten), gibt es nach unserer Einschätzung genau einen wirklich empfehlenswerten Ausweg:

Konsequent die eigene Haltung und Werte im Geschäftsalltag "leben", sie glaubwürdig vertreten und auch aktiv nach Außen kommunizieren!

Die ganz großen Räder kann man als Einzelunternehmer im Naturkosthandel nicht wirklich beeinflussen, aber sich selbst treu bleiben und gleichzeitig die Dinge ändern, die notwendig sind, das sollte die Maxime der Fachhändler sein. Sie haben "Bio" groß gemacht und müssen darauf setzen, dass es auch zukünftig ausreichend viele Endverbaucher geben wird, die das durch ihr Kaufverhalten honorieren. Es gibt eine Chance, und die gilt jetzt auch zu nutzen!

 

TIPP: Teilnahme am ContRate-Betriebsvergleich

Eine gute Möglichkeit, sich die wirtschafltiche Grundlage im eigenen Betrieb etwas genauer anzuschauen bietet der Betriebsvergleich für den Naturkostfachhandel - die inidividuelle Auswertung (inklusive Beratung) enthält alle wichtigen Kennzahlen und setzt sie in Bezug zu Läden mit ähnlicher Struktur. So lassen sich ungenutzte Potentiale schnell und einfach identifizieren!






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